"Herzschlagmomente 2" - Die Katastrophe mit dem Verliebtsein

 

Anika hat es satt! Nach einer großen Enttäuschung beschließt sie, sich nie wieder auf eine feste Bindung einzulassen. Wäre da nur nicht ihr neuer Kollege Mike Koller. Er ist aufdringlich, selbstgefällig, er raubt Anika den letzten Nerv – und er ist unverschämt attraktiv. Immer mehr verfällt sie seinen türkisfarbenen Augen, bis sie schließlich ein gemeinsames Wochenende in den Bergen verbringen.

Doch gerade als Anika glaubt, Mike habe ihre Mauern eingerissen, verschwindet er und sie findet heraus, dass es nie einen Mike Koller gegeben hat. Wer ist Mike wirklich? Und wird Anika sich jemals wieder erlauben zu lieben?

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Die Katastrophe mit dem Verliebtsein 

Leseprobe

Prolog

 

Seit einer Woche nahm der Alltag bei den Neumanns wieder Raum ein. Klara fand es ungewohnt, nach so vielen Wochen der Genesung wieder für sich selbst zu sorgen. Unterstützt wurde sie zwar noch von ihrer jüngeren Tochter Anika sowie von Gert, aber wenigstens grundlegende Dinge wie sich selbst duschen, Haare waschen, ein kleines Gericht kochen und kurze Strecken spazieren gehen konnte sie wieder selbst und bereiteten ihr immense Freude. Es waren die wirklich kleinen Dinge des Lebens, die seit dem Autounfall vor vier Monaten an Gewicht und Bedeutung gewonnen hatten. Aber beim Gehen erinnerten sie die Schmerzen an das unsagbare Glück, den Aufprall überlebt zu haben. Der Ex-Verlobte ihrer älteren Tochter Jennifer wollte unter allen Umständen eine Hochzeit mit ihr erzwingen. Zuvor hatte er sie mit Jennifers bester Freundin betrogen. Die Abfuhr, die Jenny ihm erteilte, wollte er daraufhin nicht akzeptieren. So heckte Peter einen abscheulichen Plan aus, nämlich sein Auto absichtlich in das von Jennifers Eltern zu lenken. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit gerade auf sie zu, als sie von ihrer Einfahrt auf die Straße bogen. Ihre Eltern wurden dabei schwer verletzt. Er selbst überlebte den Zusammenstoß jedoch nicht. Klara dachte mit Grauen daran zurück. Sie verstand Jenny voll und ganz, dass sie diesem Mann nicht verzeihen konnte. Umso glücklicher machte sie der Umstand, zu wissen, dass Jenny die große Liebe letztendlich doch noch fand. Im Mai war die Hochzeit geplant. Max, der zukünftige Schwiegersohn, besaß nicht nur das Herz am rechten Fleck, sondern auch die Mittel, seiner Frau finanziell ein gutes Leben bieten zu können. Seine beiden Kinder, derentwegen Jenny bei ihm als Nanny eine Anstellung angenommen hatte, liebten ihre neue Mami über alles. Klaras Gesicht überzog ein zufriedenes Lächeln, als sie daran dachte. Ihre Augen strahlten. Sie freute sich auf ihre Stiefenkel. Jennys neue Familie hatte sich in ihrem Herz eingenistet. Klara blickte von ihrer Morgenzeitung auf, als Gert die Küche betrat. Er roch nach seinem herb-holzigen Aftershave. Gert hielt seine von Natur aus graumelierte, dichte Haarpracht im Zaum. Für sein Alter war er noch immer ein attraktiver Mann. Klara strahlte ihn an. »Weißt du schon, wie lange du heute im Büro bleibst?« Sie wartete auf seine Antwort, während er die Espressomaschine bediente.
»Ich denke bis gegen fünfzehn Uhr. Das lässt sich einrichten.« Er nippte an dem heißen Getränk und setzte sich zu seiner Frau an den Tisch. Dort standen frisches Gebäck, Butter und Marmelade. Mit seinen schlanken Bürohänden schnitt er die Semmel in zwei Teile. Eine Hälfte behielt er und die zweite legte er zurück ins Körbchen. Klara verfolgte jeden seiner Handgriffe. Seit über sechsundzwanzig Jahren waren sie bereits verheiratet und noch immer faszinierte sie, mit welcher Akribie er täglich seine halbe Frühstücksemmel bestrich. Voller Genuss biss er in das knusprige Gebäck. »Möchtest du heute etwas unternehmen, wenn ich nach Hause komme? Oder sind dringend Besorgungen zu erledigen?« Er tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und blickte sie an.
»Nein, aber ich möchte eine Forelle braten.«
»Es ist besser, wenn du damit wartest, bis ich zu Hause bin. Ich helfe dir dabei. Du sollst dich doch noch schonen«, tadelte er sie in liebevollem Tonfall.
»Es geht mir wieder gut«, protestierte sie. »Ich bin so froh, wieder so fit zu sein, und mit jedem Tag wird es besser.« Klara wusste, dass Gert und auch ihre Töchter es nur gut mit ihr meinten, aber es nervte trotzdem, den besorgten Blick von ihm zu sehen. Seine Fürsorge in Ehren, aber er versuchte, sie tatsächlich in Watte zu packen.
Ein spitzbübisches Funkeln leuchtete aus den grauen Augen. »Ich will dich nicht nerven, aber ich mach mir eben Sorgen. Anika ist heute wieder besonders gut drauf, wie mir scheint. Sie trällert heute besonders laut im Badezimmer. Wenn sie wenigstens singen könnte. Mir schmerzt der Kopf bei diesen falschen Tönen«, beschwerte sich Gert liebevoll. So gerne ihre jüngere Tochter sang, so wenig beherrschte sie es. Sogar bis in die Küche drang ihr Gesang, oder wie man diese Klänge bezeichnen könnte. Klara zuckte mit den Schultern.
»Es ist doch schön, wenn sie morgens schon so gut gelaunt ist. Sollte sie einmal in eine eigene Wohnung ziehen, wird uns ihr Geträller fehlen.«
»Dafür ist sie aber schon noch zu jung, findest du nicht? Na ja, ich muss los. Tschüss, bis heute Nachmittag.« Dann drückte er ihr einen sanften Kuss auf den Mund und überließ sie sich selbst, bevor sie noch etwas erwidern konnte. Klara seufzte. Die letzten Wochen nach dem Unfall, als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, verbrachten sie und Gert, der nach seinem Krankenstand zusätzlich Urlaub genommen hatte, bei Max und Jenny. Ihr Schwiegersohn in spe hatte sie zu sich geholt, um Jenny zu bewegen, zu ihm und den Kindern ohne Bedenken zurückzukehren. Dort erhielt Klara die nötige Pflege, die sie zum Gesunden benötigte. Dafür würde sie Max ewig dankbar sein. Gerade als sie die Zeitung schließen wollte, hüpfte ihre jüngste Tochter Anika herein.
»Morgen, Mama. Schon ausgeschlafen? Ist Papa schon zur Arbeit? Ich muss auch gleich los, bin schon spät dran.« Sie drückte ihrer Mutter ein Küsschen auf die Wange und war schon wieder zur Tür hinaus.

 

 

Kapitel 1

Auf dem Weg ins Büro sang Anika aus voller Brust den Song ›I’ll show you‹ von Justin Bieber mit. Dass sie mit den Tönen danebenlag, störte sie wenig. Es folgten die Morgennachrichten. Als sie bei Beginn der Nachrichten auf dem Firmenparkplatz ankam, hatte sie bereits ein paar Minuten Verspätung. Sie lief schnell ins Büro, öffnete das Fenster, um frische Morgenluft hereinströmen zu lassen, und startete ihren PC. Täglich das gleiche Prozedere seit zwei Jahren. Als nächstes schaltete sie noch rasch das kleine Radio und die Kaffeemaschine ein. Anika liebte diese Regelmäßigkeit. Ihr Büro lag zentral und war mit dem Chefbüro sowie dem Büro der Buchhalterin und Lohnrechnerin durch Türen zu den jeweiligen Räumen verbunden. In ihrem Reich war sie die Chefin. Alle Anfragen und Anliegen kamen zuerst zu ihr. Sie teilte auf und ordnete zu. So hielt sie ihrem Chef den Rücken frei, damit er sich um die tatsächlichen Chefangelegenheiten kümmern konnte. Die beiden waren ein eingespieltes Team.

»Hallo, schönes Fräulein«, drang die Männerstimme Anika Neumann ins Ohr. Die Stimme gehörte einem ansehnlichen Exemplar der männlichen Spezies, wie sie in dem kurzen Augenblick, als sie von ihrem Computer hochsah, feststellte.
»Guten Morgen«, knurrte sie, da sie gerade begonnen hatte, den vorbereiteten Bericht ihres Chefs abzutippen, nachdem sie einen kurzen Blick auf die Liste der empfangenen E-Mails geworfen hatte. Es waren wieder überdurchschnittlich viele. Nach Freundlichkeit stand ihr nicht der Sinn. Typen, die am frühen Morgen schon gut gelaunt waren, waren Anika sowieso suspekt.
»Na, na, gleich so mürrisch?«, kam es von ihrem Gegenüber. »Übrigens ich bin Mike Koller, der Neue in der Produktion, und soll mich hier zum Dienst anmelden. Irgendwelche Papiere soll ich auch unterschreiben und ich wurde gebeten, diese Bestellliste abzugeben.« Seine tiefe Stimme klang durch den Raum.
Er reichte ihr ein mit Metallstaub verschmiertes, vollgekritzeltes Blatt Papier über die Theke. Als sie einen kurzen Blick darauf warf, erkannte sie die Kralle von Herbert Tintsche.

»Oh, klar. Legen Sie es auf das Pult. Sie sind also der neue Produktionsmitarbeiter? Gut. Ich habe bereits alles vorbereitet. Einen Moment.« Sie wusste nicht, warum, aber irgendwie machte sie ihr Gegenüber nervös. Es kribbelte verdächtig in der Bauchgegend. Sie hoffte, er würde ihr die Nervosität nicht anmerken. Ohne aufzublicken, flogen Anikas Finger flink über die Tastatur, um die letzten Wörter zu tippen. Als der Bericht, den ihr Chef heute in aller Herrgottsfrüh auf das Diktiergerät gesprochen haben musste, endlich fertig abgetippt und gespeichert war, stand sie auf. Dann kramte Anika kurz in einem Berg von Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und reichte dem Neuen einige Blätter zur Unterschrift. »Hier, der Arbeitsvertrag, die Hausordnung und die Bestätigung, dass Sie die Firmenschlüssel erhalten haben. Bitte jeweils hier eine Unterschrift«, forderte sie kurz und prägnant. Sie zeigte mit dem Finger auf die Linien, auf denen er unterschreiben sollte. Dabei erregten ihre langen, frisch designten Fingernägel sichtlich Aufmerksamkeit.

»Tolle Fingernägel«, bemerkte er. Sie blickte zu ihm hoch und stellte fest, dass er sie mindestens um eine Kopflänge überragte. Das war ihr vorhin, als sie gesessen hatte, gar nicht aufgefallen. Als sie ihn beim Unterschreiben beobachtete, drängte sich der Gedanke auf, dass seine Hände nicht wie die eines Produktionsarbeiters wirkten. Schnell verdrängte sie ihre Überlegung wieder und überreichte ihm jeweils eine Durchschrift der unterzeichneten Unterlagen. Das leichte Zittern ihrer eigenen Finger ignorierte sie.
»Haben Sie noch Fragen?« Anikas Blick glich dem eines Monsters.
»Ähm, nein! Sagen Sie, sind Sie immer so miesepetrig oder nur mir gegenüber?«
»Ich dachte, Sie haben keine Fragen mehr! Und wie ich bin, geht Sie einen feuchten Kehricht an. In Zukunft können Sie sich solche Ausdrücke wie ›Schönes Fräulein‹ sparen. – Steht übrigens in der Hausordnung unter Punkt 12.«
»Was? Dass ich nicht freundlich grüßen darf?« Sein breites Grinsen verärgerte sie noch mehr.

»Nein, weibliche Mitarbeiterinnen sind mit Respekt zu behandeln und plumpe Annäherungsversuche fallen unter die Kategorie ›sexuelle Belästigung‹.« Anika zog die Nase kraus – wie immer, wenn ihr etwas besonders ernst war.
Der Typ brach in schallendes Gelächter aus. Dann lugte er Anika aus feuchten Augen an. Eingeschnappt versuchte sie, seinem Blick standzuhalten. Es fiel ihr verdammt schwer. Dieser Kerl war wirklich das Letzte! Von Männern hatte sie die Nase voll, überhaupt von großen, mit sportlicher Figur, breiten Schultern, muskulösen Oberarmen und dunklem Haar, das keck in die Stirn fiel. Und erst recht diese türkisblauen, leuchtenden Augen! Trug der Kerl etwa gefärbte Kontaktlinsen? Eine derartige Augenfarbe gab es doch gar nicht! Oder? So faszinierend sie auf Anika wirkten, machten sie sie in gleichem Maße nervös. Unsicherheit kroch in ihr hoch. Anika begann, sich unter seinem sie musternden Blick unwohl zu fühlen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihn ebenso angestarrt haben musste, denn ihr Gegenüber räusperte sich und schmunzelte. »Gefällt Ihnen, was Sie sehen?«
Augenblicklich spürte Anika Hitze in ihre Wangen steigen.

»Es geht«, bemühte sie sich, so neutral wie möglich hervorzuwürgen. Mit ›Ich muss weitermachen‹ versuchte sie, diesen Mike zum Gehen zu bewegen. Der schien jedoch die Ruhe in Person zu sein und bewegte sich keinen Millimeter.

»Und Sie? Haben Sie nichts zu tun?« Anika war genervt.

»Sie sind aber kratzbürstig. Sagen Sie, ist der Boss da?«

»Nein, außerdem müssen Sie vorher einen Termin vereinbaren, schließlich hat der Chef auch noch anderes zu tun, als mit den Arbeitern, die eigentlich in die Werkstatt gehören, zu plaudern.«

»Gut, dann besorgen Sie mir einen Termin und geben mir Bescheid«, erwiderte er, ohne sein breites Grinsen zu beenden, und verschwand durch die Tür.

»Puh!« Anika schnaufte, als Mike gegangen war. Zum Glück war das Fenster noch offen. Frischluft! Während Sie die Luft einatmete, hoffte sie, dass sie nicht zu sabbern begonnen hatte. Wie peinlich war das denn? Ach, sicher nicht, beruhigte sie sich selbst! Dafür hatte er sie zu sehr geärgert. Sie hatte nichts gegen Männer. Ganz und gar nicht. Schließlich arbeiteten in der kleinen Metallfirma, in der sie seit der Matura beschäftigt war, zu siebenundneunzig Prozent Männer. Ihre Kollegin von der Buchhaltung und eine Putzfrau sowie ihre Wenigkeit stellten den geringen Frauenanteil der Firma. Mit den Kollegen hatte sie keine Probleme. Dafür grenzte sie sich rechtzeitig ab und gab eindeutig zu verstehen, dass sie an keiner wie auch immer gearteten Beziehung Interesse hatte. Die meisten, sowieso um einiges älter als sie, waren verheiratet oder zumindest in festen Händen. Bei den neu Eingestellten lohnte es nicht, anzubandeln – oft waren sie nur kurz hier in der Firma. Außerdem: Eine Enttäuschung in Liebesdingen reichte ihr voll und ganz, obwohl diese schon eine Zeitlang zurücklag. Schnell verdrängte sie den Gedanken daran. Eine feste Beziehung stand sowieso nicht auf ihren Plänen. Wieso sich jetzt diese kurze Überlegung in ihre Gedanken geschlichen hatte, verwunderte sie. Gerade erst zweiundzwanzig Jahre jung geworden, zählten Partys, Feiern, Disco und Shoppen zu ihren absoluten ›must haves‹. Wer brauchte schon einen Mann? Sie genoss ihre Freiheit! Anika gestand sich dennoch ein, bezüglich der Männerwelt einen Knacks abbekommen zu haben. Aber das musste sie nicht gleich an die große Glocke hängen. Ihr Herz hatte einen gewaltigen Sprung davongetragen, vergleichbar mit einem tiefen Graben. Wenn es um Männer ging, beherrschten Enttäuschung, Misstrauen und Vertrauensverlust seitdem ihr Handeln. So einen Mann, wie es ihr zukünftiger Schwager war, gab es wahrscheinlich sowieso nur einmal auf der ganzen weiten Welt. Ihre um vier Jahre ältere Schwester Jenny war zu beneiden. Diplomingenieur Maximilian Winter, Jennys Verlobter, brachte zwar bereits zwei kleine Kinder mit in die Ehe, aber dennoch war er ein Mann nach Anikas Geschmack. Verträumt seufzte sie auf. So viel Glück wie ihre Schwester musste man erst einmal haben! Deren Hochzeit, organisiert von ihrer zukünftigen Schwiegermutter, fand in knapp zwei Monaten in Spanien statt. Nicht dass jemand glaubte, diese würde Jenny bei allem ihren Willen aufzwingen. Oh nein! Bevor sie eine Entscheidung traf, besprach sie sich mit Jenny und Max. Eleonore Winter war eine Perle und sie liebte Jenny. Ja, auch das gab es. Anika seufzte.

»Hey, was ist dir den über die Leber gelaufen?« Die Stimme ihrer Freundin und Kollegin riss Anika aus ihren Tagträumereien. Zeit, wieder im Hier und Jetzt anzukommen.
Karin, die Buchhalterin, ließ sich auf den freien Sessel fallen und blickte Anika neugierig an.

»Ach, nichts, der Neue hat genervt.«

»Wie, genervt?«

»Weiß ich auch nicht so recht. Er hat irgendwie blöd gegrüßt. Zu freundlich für meinen Geschmack und wenn schon jemand ›Schönes Fräulein‹ sagt, flippe ich sowieso aus. Du kennst mich.«

»Oh, oh, da hast du dich gleich von deiner allerbesten Seite gezeigt, wie?« Karin konnte sich das Schmunzeln kaum verkneifen. »Entschuldige, dass ich grinsen muss, ich wollte dich nicht zusätzlich reizen. Lassen wir deinen wunden Punkt dort, wo er sich befindet – tief vergraben in deinem Inneren.«

»Mhm. Ist wohl besser so!« Anika starrte nun zu Karin hoch. »Und du? Brauchst du etwas?«

»Ja, den Ordner mit den Abrechnungen der Firma Grangl vom Januar.«
Anika lief zum nahestehenden Aktenschrank, sperrte ihn mit ihren Spezialschlüsseln auf und zog wenig später den gewünschten Ordner heraus. Hier hatte alles seine Ordnung.

»Danke, Anika. Sag, wann gehst du zu Mittag?«

»So gegen eins. Warum?«

»Super, dann gehen wir zu Toni, bis dahin bin ich mit der Abrechnung sicher fertig.« Karin und Anika tranken in der Mittagspause gerne in Tonis Café einen heißen Latte macchiato oder einen Cappuccino und gönnten sich dazu eine seiner Snackspezialitäten, die der Inhaber mit viel Fantasie kreierte. Das Lokal lag gleich um die Ecke ihrer Firma und war generell sehr beliebt. Vor allem um die Mittagszeit herrschte täglich Hochbetrieb. Anika lief das Wasser im Mund beim Gedanken daran zusammen. Leider war der Arbeitstag erst angebrochen und die Mittagszeit lag in weiter Ferne. Dazwischen warteten Akten, Rechnungen und Tabellen, und Unmengen von Mails, die erledigt werden mussten. Karin verzog sich wieder in ihr kleines Büro, wo sie in Ruhe mit ihren Zahlen jonglieren konnte. Anika rief abermals die Mails ab, nur um festzustellen, dass ihr für den Rest des Tages sicher keine Minute langweilig werden würde. Auf ihrem Mailserver gingen ausschließlich dienstliche Briefe ein. Private Post durfte sie über die Firmenadresse nicht erhalten, auch das gehörte zur strikten Anordnung ihres Chefs. Sie fand es nicht weiter tragisch, da sie ihre privaten E-Mails über ihr Handy abrufen konnte. Gelegentlich griff sie eben auch in der Dienstzeit, in einem unbeobachteten Augenblick, zu ihrem Telefon, um die Neuigkeiten in ihrem Freundeskreis zu erfahren. Sie wollte über die Geschehnisse in ihrem privaten Umfeld informiert sein. Wie es nun schien, würde sie heute vor dem Abend allerdings kaum dazu kommen, sich um ihre eigenen Nachrichten zu kümmern. Frustriert wegen der vielen Arbeit, ließ sie ihr Handy in der Tasche weiterklingeln und konzentrierte sich weiter auf die laufend aufblinkenden Neueingänge.