Das Leben am Lindenhof nimmt seinen Lauf. Antonia Morbach und Jan Ollson haben miteinander die große Liebe gefunden. Toni wird in einigen Tagen offiziell die Besitzerin vom Gestüt Lindenhof und dem dazugehörigen Ferienhof sein. Ihr Großvater, Arthur Morbach, hat seine veralteten Ansichten fallen gelassen. Und als Thomas Wegener abermals Tonis Weg kreuzt, wird sie vor eine neuerliche Entscheidung gestellt.
In Stefan Brender hat die Familie Morbach einen kompetenten Zuchtmeister, der Toni in Zukunft unterstützen wird. Nach einer herben Enttäuschung in jungen Jahren ist er ein eingefleischter Junggeselle. Aber ein fünfjähriger Junge und seine Mutter stürmen in sein Leben und krempeln es gehörig um.
Trotz der vielen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, kommt die Liebe im Teil 2 „Lindenhof – Mit Pferdestärken ins Glück“ nicht zu kurz.
Natürlich kann man die Geschichte gut lesen, ohne den ersten Teil zu kennen.
1 Toni
Morgendlicher Tau überzog die Wiese mit einer
Glitzerdecke. Die Sonne blinzelte rötlich schimmernd
hinter dem Hügel hervor. Einzelne Wolken malten Bilder
an die Himmelsdecke. Lautes Hufgetrappel und Wiehern
durchbrach die idyllische Stimmung. Langsam kam
Leben in den Lindenhof. «Ist ja gut, Amigo, bin ja schon
da», hallte die verschlafene Stimme von Max gemeinsam
mit dem Gewieher aus dem Stall. Der angehende
Pferdewirt besänftigte den aufgebrachten Hengst. Amigo
wartete auf seinen täglichen, frühmorgendlichen Ausritt.
Aber anscheinend hatte seine Besitzerin heute
verschlafen. Wobei, ganz vorstellen konnte Max sich das
nicht. Toni war die Pünktlichkeit in Person und der
allmorgendliche Ausritt mit Amigo war ihr heilig. In der
Nebenbox begann nun auch Sultan nervös
herumzutrampeln.
«Na, das wird ja heiter werden mit euch beiden»,
meckerte Max. Er schob seine Kappe zurück und kratzte
sich an der Stirn, ergriff den Schubkarren und verließ die
Stallungen, um im angrenzenden Schuppen frischen
Hafer und Zusatzfutter zu holen. Im Vorbeigehen
begrüßte er die beiden Stallburschen, die ihren Dienst
antraten. Am Morgen war er kein gesprächiger Mensch,
deshalb fiel die Begrüßung kurz aus. Er packte drei Säcke
mit Hafer auf die Schubkarre und eine Packung mit dem
Zusatzfutter, dann machte er sich auf den Weg zurück
zum Stall.
Stefan, der Gestütsleiter, befand sich ebenso auf dem
Weg zu den Pferden.
«Guten Morgen, Max. Alles okay bei dir?»
«Morgen, Stefan. Ja, ja. Bin nur im Stress, weil Amigo
Flausen macht und Sultan mitreißt. Die beiden warten auf
den Ausritt.»
Stefan grinste breit. «Na, dann wünsche ich viel Spaß.
Ich kann sie bis hier draußen hören.» Er schüttelte sich
und lachte. Dann bog er in die linke Stallhälfte ab, wo sich
die Boxen der Muttertiere mit den Fohlen und die, der
trächtigen Stuten befanden. Das war in der Früh immer
sein erster Weg. Das Wohl der Tiere ging vor alles, waren
sie doch das Herzstück der Zucht hier auf dem
Lindenhof. Die prächtigsten Stuten, selbst einst hier
gezüchtet und trainiert, waren nun für die Nachkommen
zuständig. Ein Tier wertvoller als das andere. Jedes der
Pferde wurde gehegt und gepflegt. Sie waren die
Aushängeschilder des Gestütes, das weit übers Land in
den Zuchtkreisen bekannt war und einen exzellenten Ruf
hatte.
Max holte noch einmal Nachschub beim Futter.
«Guten Morgen Max», riss ihn die Stimme von Toni aus
den Gedanken.
«Morgen», nuschelte er zurück. «Amigo ist ziemlich
aufgebracht und unruhig.» Der Vorwurf in seiner Stimme
war nicht zu überhören.
«Ich habe ihn bereits gehört, aber jetzt bin ich ja da. Jan
ist schon bei den Pferden, um sie zu satteln. Du kannst
also ruhig zuerst bei den anderen Tieren mit der
Fütterung beginnen.»
Max tippte sich an die Stirn. «Jawohl, Toni, bis später.»
Ohne auf seine Chefin zu warten, marschierte Max voraus
in den Stall. Er steuerte mit dem Futter die anderen
Pferdeboxen an …
Toni folgte ihm langsam. Obwohl sie nach ihrem
folgenschweren Unfall mit Hilfe einer langwierigen
Therapie nun den Rollstuhl nicht mehr benötigte,
vermochte sie trotzdem noch nicht so schnell zu gehen,
wie sie es früher tat. Heute stützte sie sich ausnahmsweise
wieder auf den Gehstock und setzte bedacht einen Fuß
vor den anderen. Und doch strahlte sie über das ganze
Gesicht, glücklich darüber, wieder von ihren eigenen
Beinen getragen zu werden. Endlich bei den Boxen
angekommen, wo Jan die beiden ungeduldigen
Vierbeiner für den Ausritt sattelte, stützte sie sich am
Gestänge der Box ab. Die Anstrengung des Fußmarsches
vom Haus zu den Stallungen merkte man ihr an. Aber
keiner, weder Max noch Jan sprachen sie darauf an. Jan
drehte sich zu ihr und zog Amigo, ihren Hengst, aus der
Box. «Na mein Schatz, willst du gleich hier aufsitzen oder
lieber draußen im Freien?»
«Draußen, hier ist es mir zu eng.» Sie klopfte Amigo auf
die Schulter, streichelte seine Mähne und holte schließlich
aus ihrer Hosentasche ein Stück eines speziellen
Pferde-Goodies. «Heute machen wir das Aufsitzen auf
altbewährte Methode, mein Junge», flüsterte sie dem
Hengst ins Ohr. Jan führte das Pferd an die frische Luft
und Toni humpelte langsam hinterher. Als sie bei den
beiden angekommen war, lag Amigo auf dem Boden,
damit seine Herrin leichter in den Sattel klettern konnte.
Erst als Toni fest im Sattel saß, richtete sich das Pferd
vorsichtig auf. Schon damals, als Toni noch im Rollstuhl
saß, hatte Amigo ihr auf diese Weise, das Reiten
überhaupt ermöglicht. Die beiden waren ein eingespieltes
Team. Heute schmerzte ihr linkes Bein besonders. Die
Therapieeinheiten von gestern waren wohl doch zu
intensiv gewesen. Sie wollte jedoch nicht auf ihren
Therapeuten hören, weil ihr die Heilung zu langsam
voranschritt. Zwei Jahre war sie an den Rollstuhl gefesselt
gewesen, ohne Hoffnung, jemals wieder laufen zu
können. Und nun schritt die Heilung für ihren
Geschmack viel zu langsam voran. Sie streichelte Amigo,
redete beruhigend auf ihn ein, während sie auf Jan und
seinen Sultan wartete.
«So, mein Schatz, jetzt kann es losgehen», vernahm sie
Jans Stimme hinter ihr. «Sultan ist heute besonders
eigenwillig, mir scheint, er nimmt die Marotten von
Amigo an.»
«Ja natürlich», lachte Toni auf. «Dein Sultan ist
eifersüchtig, das ist alles. Der Kerl will dich für sich allein.
Das schmink dir ab, mein Freund», tadelte sie das Pferd,
als es neben ihr und Amigo trat und kraulte es hinterm
Ohr. Toni beugte sich vor, um Jan einen Kuss zu geben.
Beide grinsten, als Sultan zum Protest mit dem Vorderhuf
aufstampfte. «Sag ich doch, eifersüchtig ist er», bestätigte
Toni glucksend. Jan saß auf und sie verließen
gemächlichen Schrittes den Hof. Toni wurde es warm
ums Herz, als sie zu Jan blickte. Dieser Mann zeigte ihr
tagtäglich, wie schön die Liebe und das Leben sein
konnten. Erst nach langem Zögern hatte sie sich getraut,
über den eigenen Schatten zu springen und sich auf ihn
einzulassen. Knapp zwei Monate war es nun her, seit sie
offiziell ein Paar waren. Jan hatte ihrem Großvater, dem
das Gestüt und der Familienbesitz gehörte, angeboten,
hier zu arbeiten. Ihretwegen hatte er seine Heimat
verlassen und war mit Sack und Pack hierhergezogen.
Großvater war seitdem zugänglicher und verträglicher. Er
akzeptierte Jan. Endlich hatte er eingewilligt, den
gesamten Besitz an Toni zu übergeben, obwohl sie eine
Frau war. Seine verstaubten Ansichten hatte er nun
endgültig zu den Akten gelegt. Der Notartermin war für
kommende Woche fixiert. Toni konnte es kaum erwarten.
Und das alles verdankte sie zu einem Großteil Jan, der
ihrem Großvater ins Gewissen geredet hatte. Indirekt
dankte sie auch dem vermaledeiten Ex, Thomas Wegener,
der durch seine krumme Tour, ihrem Großvater die
Augen geöffnet hatte. Er hatte ihm gezeigt, dass Männer
nicht unbedingt die besseren Geschäftspartner und
Betriebsführer sind. Toni atmete tief durch. Ihr Jan war
bei der Aufdeckung federführend gewesen.
«Was ist? Du strahlst und irgendwie scheint mir, ist
dein Lächeln festgeklebt», sinnierte Jan laut und studierte
offensichtlich Tonis Gesicht.
«Wird wohl so sein», meinte sie lapidar. «Ich bin
verliebt und gerade irrsinnig glücklich, irgendwie fühle
ich mich, als schwebe ich auf Wolke sieben.»
«Huch, so schlimm? Kann ich dir irgendwie helfen?»
«Da hilft nur küssen, küssen, küssen, bis wir keine Luft
mehr bekommen.»
«Meine Liebe, du bist ja unersättlich! Ich befürchte,
langsam entwickelst du dich zu einem Sexmonster»,
scherzte Jan. «Deine Lippen sind immer noch von der
ausgiebigen Nacht geschwollen. Max hat verlegen auf die
Seite geguckt. Direkt rot ist der arme Junge geworden.»
«Papperlapapp, jetzt übertreib mal nicht, mein Lieber»,
rügte Toni entrüstet. «Was meinst du wohl, was er und
Marie in ihren vier Wänden anstellen? Briefmarken
sammeln wahrscheinlich nicht.» Marie und Max waren
seit einem Jahr auch ein Pärchen. Die beiden waren
entzückend, wie Toni fand. Anfangs hatte sie sie um ihr
Glück beneidet. «Und außerdem, wer hat denn nicht
aufgehört und ständig an mir herumgeknabbert», gab sie
sich entrüstet. Sie trieb Amigo mit den Fersen an und er
galoppierte über die Wiese, mit der lachenden Toni auf
seinem Rücken. Jan nahm mit Sultan die Verfolgung auf.
Das Leben konnte so leicht und unbeschwert sein. Die
düsteren Zeiten schienen endgültig vorbei, die
Nebelwand hatte sich gelichtet.
Im wilden Galopp fegten sie über die Wiese, sie schlugen
den Weg Richtung Ferienhof ein. In knapp einer Stunde
startete wieder das alltägliche Programm für die Kinder –
Reitstunden, Therapiereiten, Hippotherapie. Für eine
Schülergruppe, die statt des Turnunterrichtes, das Reiten
auf dem fixen Stundenplan hatte und sehr geübt im
Umgang mit den Tieren war, stand heute ein Ausflug auf
dem Programm. Diesen würde Toni mit Elsa begleiten.
Jan war für eine Hippotherapie gebucht. Er hatte eine
spezielle Ausbildung dafür absolviert. Hippotherapie war
eine Form der Krankengymnastik auf
neurophysiologischer Basis. Der Patient sitzt dabei in der
Gangart Schritt auf dem Pferderücken und das
Therapiepferd wird als Medium verwendet, um
dreidimensionale Schwingungen auf das Becken des
Menschen zu übertragen. Hier am Ferienhof betreute Jan
vor allem Kinder, die körperliche Einschränkungen oder
Verletzungen hatten.
Am Hof angekommen, rutschte Toni vom Rücken ihres
Amigos und Jan stützte sie. Die beiden Pferde trabten wie
selbstverständlich in Richtung Boxen, wo sie Karl, der
Stallbursche in Empfang nahm. Toni und Jan
schlenderten zur Küche. Christl erwartete sie bereits mit
einem warmen Apfelkuchen und Kaffee. «Ihr beiden seid
heute aber spät dran», stellte sie fest.
«Hm, ja, wir haben verschlafen, tut mir leid», erwiderte
Toni. Ihr Gesicht überzog sich mit einem leichten
Verlegenheitsrot. Christl schmunzelte. «Ja, verstehe, ich
möchte auch noch einmal jung und verliebt sein.» Für
diese Worte erntete sie einen skeptischen Blick von Toni.
«Ich dachte, du brauchst diesen ganzen Liebeskram nicht,
wie du immer zu sagen pflegst?»
«Eh nicht, aber hin und wieder wird man ja noch
träumen dürfen. Vor allem, wenn ich mir euch beiden
Turteltäubchen so ansehe», gluckste Christl.
Jan verschluckte sich am heißen Kaffee. Er musste
husten.
«Ich glaube, Toni, unsere Christl beneidet uns, auch
wenn sie es nicht zugibt.»
Die Angesprochene winkte mit der Hand ab und machte
sich am Herd zu schaffen. Darauf köchelte bereits eine
kräftige Rinderbrühe in einem riesigen Topf. Die Knödel
für die Suppeneinlage bereitete sie gerade zu. «Sag Toni,
wo bleibt denn eigentlich Marie, sie hat versprochen, mir
heute auszuhelfen?» Kaum hatte sie den Satz beendet,
öffnete sich die Küchentür und Marie trat ein. «Hallo, alle
zusammen. Ich musste noch ein paar Besorgungen
erledigen, vorrangig für deinen Großvater, Toni, daher
bin ich später dran. Die Apotheke sperrt leider nicht
früher auf.»
«Apotheke? Was fehlt ihm denn? Mir gegenüber hat er
nichts erwähnt.» Toni war sichtlich besorgt.
«Seine Medizin gegen die Arthrose ist ihm
ausgegangen, das Rezept hatte er schon zu Hause. Nichts
Tragisches, keine Sorge.» Marie hob zur Beschwichtigung
die Hände. «Es kann schon sein, dass er wieder verstärkt
Schmerzen in den Gelenken verspürt. Vielleicht fragst du
ihn einfach und versuchst ihn zum Arzt zu schleppen»,
riet ihr Marie. «Jedenfalls ist er ziemlich miesepetrig
gelaunt.»
«Gut, ich werde gleich heute am Nachmittag mit ihm
reden», beschloss Toni. Ihr Großvater war für seinen
Sturschädel wohl bekannt und dass er nicht zum Arzt
ging, bevor die Schmerzen unerträglich wurden. Mit
seinen knapp neunundsiebzig Jahren meldete sich sein
Körper vermehrt und zeigte ihm unerbittlich das
fortgeschrittene Alter. «Wie lange wirst du heute hier
sein, Marie?», fragte Toni.
Marie sah zu Christl. «Was schätzt du, wie lange
brauchen wir?», richtete sie die Frage weiter.
«Voraussichtlich bis sechzehn Uhr müssten wir es
schaffen. Die Schülergruppe kommt gegen vierzehn Uhr
zurück, oder Toni?»
«Genau, wir starten in einer viertel Stunde und um
vierzehn Uhr ist die Rückkehr geplant, so nichts
dazwischen kommt.»
«Für das Essen und das anschließende Aufräumen
benötigen wir zirka zwei Stunden.»
«Du hast es gehört», meinte Marie an Toni gewandt.
«Warum ist das wichtig? Brauchst du mich dann noch am
Gutshof?»
«Nein, das nicht. Aber ich dachte, vielleicht kannst du
noch einmal ins Dorf fahren und noch einige
Besorgungen erledigen? Ist jedoch nicht so eilig, kann
morgen auch sein. Ich komme leider erst wieder am
Freitag zum Einkaufen, wenn ich die nächste Therapie
habe.»
«Kein Problem, schreib mir auf, was du brauchst.»
«Danke und tschau, bis später.» Toni hob die Hand
zum Gruß und zog Jan hinter sich aus der Küche.
«Tschau», rief er völlig überrumpelt, bevor die Tür
hinter ihm ins Schloss fiel.
«Warum so eilig?»
«Sieh auf die Uhr, du Plaudertasche.»
«Ich und Plaudertasche? Wer hat denn die längste Zeit
gequatscht? Warte nur, mein Schatz, das wirst du mir
büßen.»
Toni lachte und versuchte so schnell als möglich davon
zu gehen. Es war wohl eher ein Davonhumpeln. Jan hielt
sie am Ärmel ihrer Jacke fest. «Nichts da, davonlaufen gilt
nicht.» Er zog sie sanft in seine Arme und umschloss ihre
Lippen mit den seinen. Toni schlang ihre Arme um seinen
Hals. Beide versanken in einen intensiven innigen Kuss.
Sie ließen die Zungen miteinander spielen. Wärme und
Hitze und Gänsehaut überzog abwechselnd Tonis Körper.
Die Schmetterlinge wirbelten im Bauch. Beide vergaßen
sie die Welt um sich herum. Konnten sie überhaupt je
voneinander genug bekommen? Niemals!, schoss es Toni
durch den Kopf. Sie schwebte in einem
Ausnahmezustand und einem Glücksgefühl, das sie so
noch nie erlebt hatte.
«Da seid ihr ja», riss die Stimme von Elsa die beiden
Turteltäubchen aus ihrer innigen Umarmung.
Toni löste sich widerwillig von Jans Lippen. «Überall
wird man gestört», meckerte sie und grinste. «Du siehst,
ich muss leider arbeiten», sagte sie an Jan gewandt, löste
sich nun gänzlich aus seiner Umarmung. Sofort stieg das
Gefühl auf, dass etwas Wichtiges fehlte. Wo vorher
Wärme, ja sogar Hitze zu spüren war, huschte ein kalter
Schauer. Gemeinsam mit Elsa ging sie davon.
«Tut mir leid, dass ich eure Zweisamkeit stören musste,
Chefin, aber die Kinder sind schon ungeduldig und
Amigo tänzelt auch schon herum.
«Okay, wo geht es hin? Welche Route reiten wir?»
«Über den Anger Richtung Alm und dann über die
Nordweide zurück.»
«Gut, das geht sich leicht aus, um rechtzeitig wieder
zum Essen zurück zu sein. Auf geht es», spornte Toni an
und freute sich auf den gemeinsamen Ausflug mit den
Kindern.
Elsa ritt der Schülergruppe voraus und Toni machte mit
ihrem Amigo den Abschluss. Dazwischen ritten die
beiden Lehrerinnen, die die Gruppe begleiteten. Die
Kinder liebten diese Ausflüge. Zwei Mal im Schuljahr
standen diese am Programm, statt eines normalen
Wandertages. Sie hatten zirka die Hälfte der Strecke
hinter sich und waren bereits zwei Stunden unterwegs,
weshalb es Zeit für eine Pause wurde. Elsa lenkte Joy,
ihren Schimmel zum Platz, der zum Verweilen ideal war.
«Absteigen», befahl sie, «Brotzeit! Eine Stunde rasten wir
hier. Bitte führt die Pferde zur Quelle da hinten, damit sie
trinken können. Anschließend könnt ihr selbst jausnen.»
Während die Mädchen mit ihren Pferden beschäftigt
waren, ließ sich Toni langsam vom Sattel gleiten, bedacht
darauf, nicht mit dem linken Bein zuerst aufzutreten. Erst
als sie sicher am Boden stand, ließ sie Amigo los. Er trabte
zur Quelle, zu den anderen. Toni setzte sich auf einen
größeren Steinbrocken. Elsa und die Lehrerinnen hockten
sich zu ihr ins Gras. Sie plauderten über alles, das junge
Damen interessierte, Mode, Filme und den üblichen
Tratsch, der im Dorf kursierte. Das Wetter zeigte sich von
der schönen Seite. So hätte Toni noch lange verweilen
mögen. Nach einer Stunde war die Rast allerdings zu
Ende und es hieß wieder aufsitzen. Die Reiterinnen
machten sich auf den Heimweg zurück zum Ferienhof.
Klara, eine Schülerin, wartete auf Toni, bis sie zu ihr
aufgeschlossen hatte.
«Toni, darf ich dich etwas fragen», begann sie
vorsichtig. Das Mädchen wirkte traurig, wie Toni für sich
feststellte.
«Natürlich Klara.» Toni wunderte sich zwar, weil sie
normalerweise nicht so zögerlich war.
«Du musst wissen, ich reite für mein Leben gerne»,
schwärmte Klara. «Aber ich werde bald nicht mehr am
Reitunterricht teilnehmen dürfen, weil mein Papa
arbeitslos geworden ist und er sich das Geld für die
Stunden nicht mehr leisten kann.»
«Oh je, das ist aber schade.» Toni legte den Arm um
Klaras Schulter. Sie bemerkte, wie dem Mädchen die
Tränen in die Augen stiegen.
«Ich weiß eh, dass es nicht gehen wird, aber wäre es
eventuell möglich, dass ich, statt die Stunden zu bezahlen,
am Hof arbeite?» Sie wischte sich mit dem Ärmel über die
tränenverschmierten Augen.
«Im Moment kann ich es dir nicht versprechen, aber ich
melde mich bei dir, wenn ich eine Lösung für dein
Problem gefunden habe. Oder wenn ich weiß, wo wir
helfende Hände benötigen.» Toni lächelte Klara an und
versuchte dem Mädchen etwas Hoffnung zu schenken.
Sie legte ihren Arm tröstend auf die Schulter von Klara.
«Wir finden eine Lösung. Ganz sicher. Und du kommst
auf jeden Fall trotzdem zu den Reitstunden, auch wenn
du sie vorerst nicht bezahlen kannst.» Sie nahm sich fest
vor, noch am Abend mit Jan, ihrem Großvater und Sepp,
dem Gutsverwalter zu sprechen. Am Lindenhof oder
auch am Ferienhof brauchten sie immer wieder helfende
Hände.