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Kapitel 1

 Das schrille Weckerläuten riss sie aus ihren Träumen. Lisa drückte es weg. Im Zimmer war es noch dunkel. Trotzdem hieß es aufstehen. Ihre geliebten Tiere warteten aufs Futter. Sie hüpfte aus dem Bett. Vom winzigen Fenster ihres Zimmers zog sie die Vorhänge zur Seite. Über dem Stoderzinken stieg langsam der rote Sonnenball empor und versprach einen angenehm warmen Tag. Lisa streifte sich einen Pullover über und schlüpfte in den grauen Overall, den sie immer für die Stallarbeit trug. Gut gelaunt lief sie die Holztreppe hinunter. Morgenmuffel sehen anders aus. Die Tür zur Stube stand offen und herrlicher Kaffeeduft kitzelte ihre Nase. Auch der Geruch von frisch gebackenem Brot breitete sich aus. Lisa lief das Wasser im Mund zusammen. Ihre Großmutter bereitete das Frühstück für ihre Pensionsgäste zu.

„Guten Morgen Omi, bin dann im Stall“, grüßte sie durch die Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie ins Freie und sog die frische, noch kühle Morgenluft tief in ihre Lungen. Bevor Lisa sich selbst ein Frühstück genehmigte, versorgte sie jeden Tag zuerst ihre Schützlinge. Dazu zählten fünf Pferde, drei Ponys, drei Ziegen, acht Schafe, sechs Alpakas, einige Hühner und Enten sowie sieben Katzen. Früher hatte ihre Großmutter, Rosa Weigant, die Landwirtschaft alleine geführt und zusätzlich Gästezimmer vermietet. Mittlerweile hatte Lisa allerdings den Hof übernommen und Großmutter ließ ihr freie Hand, was sie damit machte. Die Gästepension betrieb ihre Großmutter weiter, weil Urlaub am Bauernhof boomte und sie die Menschen mochte. 

Das Ferienparadies Rosenhof war ihr ganzer Stolz und ihr Leben. Am östlichen Rand von Aich, einem winzigen Ort in der Schladming-Dachstein-Region in der Steiermark gelegen, war es ein beinahe unsichtbarer Punkt auf der Landkarte und ohne Bedeutung. Knapp über tausend Einwohner zählte er. Die beiden Frauen führten ein bescheidenes, aber glückliches Leben. Für Lisa war es wichtig, dass sie bei ihrer geliebten Großmutter sein konnte. Sie wünschte sich, dass sie noch lange lebte, und mochte sich gar nicht ausmalen, wie es sein würde, wenn ihre Großmutter eines Tages das irdische Leben, mit dem im Himmel tauschte. Rasch schüttelte Lisa diese düsteren Gedanken beiseite und beeilte sich, zu ihren geliebten Tieren in den Stall zu kommen. Ziegen und Schafe gehörten schon immer zum Rosenhof, um die steilen Hänge abzugrasen. Die Pferde Granny und Holly erstand Lisa von einem Gestüt, auf dem sie vor Jahren die Ausbildung zur Reitlehrerin absolviert hatte. Als Reitpferde waren sie zu alt und sollten an einen Schlachthof verkauft werden. Da entstand zum ersten Mal die Idee, einen Gnadenhof für Tiere zu errichten. Es kostete Lisa beinahe den gesamten Verdienst, um die Pferde zu retten. Wallach Sami und die sanfte Betty, beide Haflinger, hatte Lisa vor drei Jahren gekauft, weil ihre Besitzer in die Stadt gezogen waren. Wallach Aric, ein stattlicher Trakehner und ausgebildetes Reitpferd, hatte sie schon vor zehn Jahren von ihrer Großmutter als Willkommensgeschenk erhalten. Lisas Mutter hatte sich vor zwölf Jahren in einen Franzosen verliebt und war ihm nach Frankreich gefolgt, wo sie ein neues gemeinsames Leben begannen. Lisa, damals fünfzehn Jahre alt, musste ihre Mutter begleiten. Allerdings hielt sie es in Frankreich nicht aus. Weder verstand sie sich mit dem Stiefvater, noch gefiel ihr die Gegend. Zu sehr sehnte sie sich nach dem Rosenhof und zog mit siebzehn wieder zu ihrer Großmutter zurück.

„Guten Morgen meine Lieben“, trällerte Lisa vergnügt in den Stall, nachdem sie die schwere Holzschiebetür zur Seite gewuchtet hatte. Sie musste grinsen, weil sie laut mit den Tieren sprach. Zu Ihrer großen Freude, erhielt sie auch noch Antwort. Mäh, mäh, kam es von der einen Ecke, wihaha, wihaha, aus der anderen, wobei Lisa nicht festzustellen vermochte, ob das Gewieher von den Ponys oder den Pferden stammte. Obwohl die Tiere jederzeit nach draußen gehen konnten, warteten sie morgens geduldig, bis Lisa in den Stall kam. Sie füllte in die Futtertröge ein spezielles Mehl, für die Schafe hängte sie an einem Holzbrett der Zwischenwand salzige Lecksteine auf, trockenes Heu wurde für ihre Lieblinge in den Futterkrippen bereitgestellt, obwohl es auf der Weide bereits saftiges Gras und frisches Wasser gab, wurde in den Trögen nachgefüllt. Bei den Pferden begrüßte sie jedes Einzelne namentlich und mit Streicheleinheiten.

„Sami, mein alter Junge, hallo! Aric, na, auch schon munter? Und wie geht es den Damen? Holly, Betty und Granny?“ Lisa kraulte sie hinter den Ohren und fuhr sanft mit der flachen Handfläche über die weichen Nüstern. Ungeduldig drängten sich die Ponys dazwischen. „Na, na, nicht so stürmisch, ihr drei“, schimpfte Lisa sie liebevoll. „Alma, Feima und Bakur, hier, ihr bekommt doch auch schon euer Frühstück.“ Sie liebkoste die Ponys, die zwar kleiner als ihre Artgenossen waren, ihnen jedoch einiges an Temperament voraushatten. Der Amtstierarzt hatte die Ponys vor zwei Jahren, in einem verwahrlosten Zustand, einem Bauern in der Umgebung abgenommen und hierhergebracht. Die nächste Station führte sie zu den Alpakas. Sie streckten ihre Hälse weit nach oben und beobachteten neugierig mit ihren dunklen Kugelaugen das Geschehen rund um sie. Weil die betagte Frieda ins Altersheim zog und ihre Kinder die Alpakas nicht mehr halten wollten, landeten auch sie eines Tages am Rosenhof. Lisa liebte sie. Und obwohl Alpakas von Natur aus scheue Tiere sind, gewöhnten sie sich von Tag zu Tag besser ein. „Meine Süßen, wie geht es euch? Seid ihr gar nicht auf der Weide? Schaut mal, was ich euch mitgebracht habe.“ Sie griff in die Seitentasche des Overalls und zog spezielle Leckerlis aus gepresstem Heu heraus, die sie eigens für die empfindlichen Tiere noch schnell aus der Vorratskammer geholt hatte. Vorsichtig schnupperte Greta daran, bevor sie davon knabberte. Erst dann drängten sich die anderen ans Holzgatter und holten sich ihre Belohnung. Greta war die Älteste unter ihnen und anscheinend die Anführerin der Herde. Zumindest beobachtete Lisa dies. Dass Alpakas, ebenso wie ihre Artgenossen, die Lamas, spuckten, hatte Lisa anfangs einige Male zu spüren bekommen. Dies war passiert, weil die Tiere durch den Ortswechsel völlig verängstigt waren und wohl nicht verstanden, warum sie nicht mehr bei Frieda sein durften. Zumindest hatte der Tierarzt Max Lorenz es Lisa so erklärt. Mittlerweile fühlten sich die Alpakas hier wohl und genossen sogar die gemeinsamen Wanderungen mit den Gästen des Rosenhofs, die Lisa anbot.  Eine gute Stunde brauchte Lisa, um die Tiere zu versorgen und frische Einstreu anzubringen. Als sie aus dem Stall kam, klopfte sie sich den Staub vom Overall, den sie über der Kleidung trug. Bevor sie ins Haus ging, zog sie ihn und die Gummischuhe aus und deponierte alles in der Sattelkammer neben der Scheune. Sie huschte ins Bad und gönnte sich die morgendliche Dusche. Erst dann schlüpfte sie in bequeme Jeans, ein frisches T-Shirt und begab sich zu Omi in die Stube. Hier duftete es bereits lecker nach frisch gebackenem Brot, das ihre Großmutter kurz zuvor aus dem Backofen geholt hatte. Lisa setzte sich an den Tisch.

„Hm, das riecht ja wieder köstlich. Ich verstehe nicht, warum bei dir das Brot viel besser schmeckt. Wenn ich eines backe, riecht es nie so gut.“

„Aber, aber, was sollte ich schon anders machen als du?“ Rosa setzte ihr verschmitztes Lächeln auf, das Lisa besonders an ihrer Omi liebte. Lachfältchen kringelten sich dann um ihre Augenpartie, die Wangen färbten sich dunkelrot und das Gesicht wirkte, als sei es gerade eben einem Zeichenbrett eines Karikaturisten entsprungen.

„Omi, du brauchst gar nicht so unschuldig zu tun. Natürlich verheimlichst du mir, was du noch in den Brotteig mischt.“ Lisa schnitt von dem Laib eine dicke Scheibe ab und kostete vom warmen Stück. „Hm, lecker!“ Sie kaute, schluckte und leckte sich genüsslich über die Lippen. Dann bestrich sie das restliche Stück mit Butter und der Kirschenmarmelade, die Omi selbst eingekocht hatte. Nun setzte sich ihre Großmutter zum Tisch. 

„Während du im Stall warst, hat mich Dr. Lorenz angerufen. Sie haben wieder einen Notfall“, erzählte Rosa, während sie sich ebenfalls ein Stück vom Brotlaib abschnitt. „Er hat gefragt, ob du noch zwei Esel aufnehmen würdest. Er würde sie später bringen.“

Lisa aß zuerst fertig und nahm einen Schluck Kaffee. „Ja, natürlich nehme ich die Tiere. Hat er gesagt, wann er kommt?“

„Du sollst ihn kurz zurückrufen, damit ihr alles besprechen könnt.“

„Okay, aber zuerst frühstücken wir“, entschied Lisa und nahm einen kräftigen Biss von ihrem Stück.

Zwei Stunden später fuhr der Geländewagen von Dr. Lorenz samt Tieranhänger am Rosenhof vor und stellte das Fahrzeug vor dem Stallgebäude ab. Lisa kam gerade aus dem Haus, als sie zwei Männer aussteigen sah. Dr. Lorenz war ihr ja bekannt. Aber wen hatte er mit? Sie brauchte nicht lange auf die Antwort zu warten. Beinahe verfiel sie in eine Schockstarre als Dr. Lorenz’ Begleiter das Auto umrundet hatte und auf sie zusteuerte. Felix! Am liebsten wäre sie davongelaufen. Dafür war es allerdings zu spät, denn die beiden Männer standen mittlerweile unmittelbar vor ihr.

„Hallo Lisa, darf ich dir meinen Sohn vorstellen? Felix, er ist ebenfalls Tierarzt und wird in Zukunft meine Praxis übernehmen.“

Lisa spürte, wie ihre Hände zu zittern und schwitzen begannen. Sie erinnerte sich, dass ihre Affäre, wie Felix es damals so charmant ausgedrückt hatte, geheim bleiben musste. Sein netter Vater wusste ja nichts von ihnen. Nun ja, von ihrem Sommerflirt. Sie hatte sich damals, vor neun Jahren, unsterblich in Felix verliebt. Mit seinen ein Meter fünfundachtzig, den dunklen Locken und den stahlblauen Augen, war er der Schwarm aller Mädchen gewesen. Und jetzt, wo er vor ihr stand, musste sie feststellen, dass er noch fescher geworden war, männlicher. Gereifter. In ihrem Bauch kribbelte es verdächtig. Vehement ignorierte sie es.

„Mein Vater hat mir schon viel von dir erzählt“, begann Felix.

„So, hat er? Ich hoffe, nur Gutes! Wo sind denn nun die Esel?“ Lisa richtete die Frage an Dr. Lorenz Senior und versuchte Felix so gut als möglich die kalte Schulter zu zeigen. Welche Farce spielte er hier? Vor neun Jahren hatte er ihr Herz gebrochen! Hatte er überhaupt eine Ahnung davon? Nein, vermutlich nicht! Lisa schluckte und eilte zum Tieranhänger. Sie achtete nicht darauf, ob ihr die Männer folgten. Erst als sie ihr halfen, das Gefährt zu öffnen, registrierte Lisa sie. Felix kletterte auf den Hänger und band ein Tier los, das er zur Rampe führte, wo Dr. Lorenz es in Empfang nahm. „Wohin soll ich ihn bringen?“

Lisa griff sich gedankenverloren an den Kopf. „Komm mit.“ Sie lief voraus und öffnete eine Tür, die in ein separates Abteil führte. „Sie kommen vorerst in Quarantäne, bevor ich sie zu den anderen lasse.“

„Gute Entscheidung“, erwiderte Dr. Lorenz. „Wobei die beiden es überall schöner haben als dort, wo sie herkommen.“ Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, wodurch er schmutzige Schlieren darauf hinterließ. 

„So schlimm?“ Lisa strich dem Tier über den Rücken, der tatsächlich verdreckt und verklebt war. Jetzt führte Felix den zweiten Neuankömmling in die Box. „Dass Esel stur sein können, habe ich schon gehört, aber der hier ist schier Meister darin. Nicht wahr, mein Guter?“ Er klopfte ihm sanft auf den Rücken, worauf aus seinem Fell eine dichte Staubwolke aufstieg. Felix hustete.

„Lisa, danke, dass du sie aufnimmst. Ich komme morgen noch einmal und schau nach ihnen. Jetzt müssen wir aber noch zum Rexeishof, eine Stute hat sich verletzt“, erklärte Dr. Lorenz. „Tschau Lisa! Kommst du, Felix?“

„Ja! Tschüss, Lisa. Man sieht sich.“

Lisa sah den beiden hinterher und äffte Felix nach: „Man sieht sich.“ Der soll bleiben, wo der Pfeffer wächst! Hallelujah! Ihn will ich am allerwenigsten wieder sehen! Sie blies die angestaute Luft aus. Dann klopfte sie sich den Staub aus der Jeans.

„Wo sind denn die Neuen?“, fragte ihre Oma plötzlich hinter ihr. Sie lugte in den Schuppen. „Ja mei, wie seht ihr denn aus? Ihr benötigt dringend eine Dusche und eine Totalreinigung, wie mir scheint.“ Sie wandte sich an Lisa. „Soll ich den Schlauch holen, damit wir sie waschen können?“ „Ich denke, sie müssen sich erst beruhigen. Sie wirken sehr aufgeregt, findest du nicht auch? Außerdem kommt in einer Viertelstunde Sarah mit ihrer Kindergartengruppe hierher. Sie unternehmen heute einen Wandertag und machen bei uns stopp. Die Kleinen wollen unbedingt die Tiere streicheln. Ich hole nur noch schnell Wasser und Heu, damit die Esel vorerst versorgt sind. Waschen und das Fell säubern machen wir später, vielleicht überhaupt erst morgen. Was machen unsere Urlauber?“

„Die unternehmen einen Ausflug auf den Dachstein und wollen erst am Abend zurückkommen. Heute passt das Wetter. Das Heu hol ich“, sagte ihre Großmutter. Sie ging zum Heuschober, während Lisa zwei Kübel mit Wasser füllte. Kurz darauf hörte sie auch schon die Kinder und ihre Freundin Sarah den Hügel herauf singen. Sarah war im Ort die Kindergartenpädagogin und ihre beste Freundin. Lisa konnte ihr die allergrößten Geheimnisse anvertrauen, ohne befürchten zu müssen, dass Sarah etwas davon ausplauderte. Die Gruppe steuerte geradewegs auf sie zu. Sarah winkte ihr fröhlich zu. An der einen Hand führte sie ein dunkelhaariges Mädchen, deren Locken ihr zierliches Gesicht umspielten.

„Servus“, grüßte Sarah. „Sagt hallo zu Lisa“, forderte sie die Kinder auf.

„Hallo“, hallte es im Chor. Betty, Sarahs Helferin, folgte mit zwei weiteren Kindern nach. Sie schnauften recht.

„Hallo“, grüßten sie ebenso.

„Hallo, na seid ihr schon auf die Tiere neugierig oder wollt ihr euch zuerst ausruhen und vom Spaziergang erholen?“

„Die Tiere sehen“, kam es wie aus einem Mund. Nur das Mädchen an Sarahs Hand wirkte schüchtern. Daher beugte sich Lisa zu ihr hinab.

„Wie heißt du?“

„Das ist Zoe, sie ist erst seit drei Tagen bei uns im Hort“, antwortete Sarah anstatt des Mädchens. „Sie ist noch in der Eingewöhnungszeit, aber es wird schon.“ 

Lisa verwirrte Zoes Aussehen, vor allem ihre großen stahlblauen Augen. In solche Augen hatte sie erst vor kurzem gesehen. Wie konnte es gehen, dass es eine derartige Ähnlichkeit gab. Ob es Zufall war? Dann schalt sie sich, wegen solcher dummen Gedanken und nahm ein Mädchen, das am nächsten bei ihr stand, an der Hand.

„Na dann, los, auf zu den Tieren.“ Das brauchte sie keine zweimal zu sagen. Freudig stürmten die Kinder hinter ihr her. Zuerst führte sie die Kinderschar zu den Alpakas, die gemütlich auf der Weide grasten. Sie ließen sich durch die Zuschauer nicht stören. Die nächste Station waren die Ponys. Die kamen sogar an den Zaun und genossen die Streicheleinheiten durch die kleinen Hände. Lisa hatte Karotten bereitgestellt, damit die Kinder sie füttern konnten. Sogar Zoe streckte ihre Hand aus und ließ die Finger im Fell eintauchen. Sarah stellte sich nah an Lisa.

„Zoe ist ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, findest du nicht?“, flüsterte sie. Verwirrt drehte sich Lisa zu ihrer Freundin.

„Ihrem Vater? Was meinst du?“

„Sag, du weißt es noch nicht?“

„Was soll ich wissen? Jetzt red‘ schon!“

„Zoes Vater ist kein geringerer als Felix Lorenz, der Sohn von Dr. Lorenz. Er wohnt seit zwei Wochen wieder hier.“

Lisa blieb der Mund offen. „Die Tochter von Felix?“ Sie konnte es nicht fassen. Daher diese verdammte Ähnlichkeit und diese Augen.

„Er war heute hier“, flüsterte sie ebenso. „Mit seinem Vater. Sie haben mir zwei Esel gebracht, die vom Besitzer schlecht behandelt wurden.“

„Wow! Und?“

„Nichts und! Hör zu, du weißt, dass das von damals, zwischen ihm und mir, niemand, hörst du, überhaupt niemand weiß. Und es darf auch nie jemand davon erfahren. Bitte versprich mir, es für dich zu behalten.“

„Natürlich. Ich bin einfach neugierig, was er gesagt hat oder wie er sich verhalten hat.“

„Boa, so, als wären wir Fremde. Sein Vater hat uns offiziell vorgestellt und der Blödmann hat keine Miene verzogen. Er tat genauso, als hätten wir uns das erste Mal gesehen.“ Irgendwie vermochte Lisa die Enttäuschung nicht ganz verbergen. Aber bei Sarah war es auch nicht erforderlich.

„Wie alt sind denn die Ponys?“, fragte ein Bub und unterbrach die Unterhaltung.

„Hier, das Gescheckte ist Alma, die ist dreizehn Jahre alt und die beiden anderen sind Feima und Bakur, ihre Kinder, mit sieben Jahren. Sie sind unzertrennlich.“

„Ich hab keine Mama mehr. Sie ist im Himmel“, sagte ein leises Stimmchen neben Lisa. Zoe lehnte am Zaun. Ihre Hand lag auf Almas Mähne. Eine schwere Traurigkeit lag auf dem zierlichen Gesicht des Mädchens. Plötzlich schnürte es Lisa das Herz zu und sie vermochte kaum noch zu atmen. Sie hockte sich neben Zoe und zog sie in die Arme. Lisa brachte kein Wort heraus. Sie blickte zu Sarah hoch. Ihre Freundin nickte zur Bestätigung. 

„Felix hat erzählt, dass Zoes Mama vor drei Monaten ihrem schweren Krebsleiden erlegen ist. Und da auch die Großeltern nicht mehr leben, hat das Jugendamt ihn ausgeforscht. So wie er es erzählt hat, hatte er nicht gewusst, dass er eine Tochter hat. Die beiden haben sich erst vor vierzehn Tagen kennengelernt. Davor war Zoe bei einer Pflegefamilie untergebracht.“

„Oh mein Gott! Das ist ja fürchterlich! Du Arme!“ Lisa hielt das Mädchen fest in ihren Armen und drückte sie an ihre Brust.

„Dafür habe ich jetzt einen Papa und er hat gesagt, dass meine Mama immer bei mir ist und mich vom Himmel aus beschützt.“

„Das stimmt. Und du hast jetzt auch Großeltern und ganz viele Freunde. Ich bin auch deine Freundin und wenn du magst, kannst du immer zu mir kommen.“ Erst als die Worte bereits ihren Mund verlassen hatten, wurde Lisa bewusst, was sie dem Mädchen soeben versprochen hatte.